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Von der Kunst im Bilderrauschen

Valérie Hasenmayer
11.12.08

Advertisement, Cape Times (“The world can change in a day”, 08.11.1989)

Gänsehaut, Bedrückung, Überraschung, Staunen. Das sind nur einige derReaktionen, die einen überkommen, wenn man Daniel García AndújarsAusstellung im Württembergischen Kunstverein in betrachtet. Ist esdenn überhaupt eine Ausstellung? „Postcapital“ kann Dokument sein, aberauch Mahnmal, Sammlung und Nachschlagewerk zugleich. Dokument derGeschichte zwischen dem Mauerfall 1989 und dem Fall der Twin Towers2001, Mahnmal für sämtliche Missstände und absurde Parallelen in derkapitalistischen Welt, Sammlung von Bildern, Filmen und Audiodateien ausdem , die zum digitalen Nachschlagewerk werden.Ist der Beginn des Postkommunismus auch der des Postkapitalismus?Andújar sieht es so und will mit seinen Beobachtungen den Wandel desWestens nach dem Wegfall seines ehemaligen Gegners dokumentieren.Gleichzeitig schlägt er mit dem Titel „Postcapital“ und dem Untertitel „Archive1989-2001“ aber auch eine Brücke zur Geburt des Internet, die im Jahr desMauerfalls statt fand und weist auf die übermedialisierte, überinformierte undteilweise auch überfordernde Lebensweise hin, die diese mit sich brachte.Darüber hinaus verweist er mit Google-Earth-Ansichten auf die Welt und denGround Zero und damit auf die versteckte „Hauptsstadt“ im Titel. EineVerquickung verschiedener Eckpunkte, die sich oft erst bei zweitemHinsehen offenbaren.

Advertisement,, Cape Times (“The world can change in a day”, 10.09.2001)
Montage (Chronology)
Montage (Chronology)
Montage (Chronology)
Montage (Chronology)
Cartoon, 50ies, Still

Das Archiv als Herzstück der Ausstellung

Der Vierecksaal des Württembergischen Kunstverein ist hell beleuchtet, derBlick fällt zunächst auf mehrere verschachtelte Raummodule in denMondrian-Farben schwarz, weiß und rot, die wie eine moderneStadtsilhouette wirken, daneben „Media Noise“, mediales Rauschen,dargestellt durch einen Halbkreis aus Fernsehern mit allem was uns seitderen Erfindung präsentiert wird: Nachrichten, Werbung, Sex, Fußball,… mithin unsere Welt. An der Wand ein Bilderfries ausWerbefotos – der Kapitalismus. Die Bilder im ersten Kubus wirken bereitsrecht verstörend, ein zusammen geschnittener Film – beinahe inLebensgröße – zeigt grenzüberschreitende Menschen und solche, die vonneuen Mauern getrennt werden: Polizisten auf der Berliner Mauer, Panzer aufdem Platz des himmlischen Friedens, der Gaza-Streifen, Leichen auf denStraßen von – eine Vermischung und Aneinanderreihungkollektiven Bildmaterials, anonym und doch intim. Es folgen an Wändenaufgehängte Stasi-Akten auf rosa Papier, freigegebenes Material, gefundenim Internet und teilweise völlig inhaltslos, da der relevante Text geschwärztist. In der „roten Box“ liegt der erste Band von Marx’ „Das Kapital“, ausgedruckt auf losen Blättern, heruntergeladen auf marxists.org. Aus dereinen Ecke tönt eine Lesung des kommunistischen Manifest, aus deranderen verschiedene Versionen der „Internationale“ in unterschiedlichenSprachen. Wand an Wand mit Kriegsbildern und Szenen aus Videospielen,kaum voneinander zu unterscheiden.

Und schließlich die Dokumentation von Verschwörungstheorien des 11.September, Dokumente eines anderen 9/11, der 11. September 1973, derSturz Allendes und der Beginn der Pinochet-Diktatur, die 30.000 Opfergefordert hat. Wer die Räume verlassen hat, atmet auf und wendet sichentweder dem Herzstück der Ausstellung zu, dem Archiv, dessen Rechnerunter einem hölzernen Kontrollturm liegt und das man sich theoretisch aufeinigen USB-Sticks mit nach Hause nehmen kann. Oder man sieht sich einweiteres Mal konfrontiert mit den Wirrungen der medialen Welt. Werbung, diesich die schockierenden Momente der Geschichte zunutze macht und denenAndujar erschreckende Parallelen gegenüberstellt: Kindersoldaten, die nebenErhängten spielen, Che als Turnschuhträger, zwei Tote, die so auf der Straßeliegen, dass sie an das Nike-Zeichen erinnern… Und geht man nachdraußen, sieht man sich wieder konfrontiert mit der aktuellen medialen Welt,bestimmt von der Finanzkrise, dem über uns schwebenden Ende desKapitalismus, dann stellt sich das Gänsehaut-Gefühl wieder ein. Hat Andujardas ahnen können? Verschwörung, weise Voraussicht? Oder ist am Endedoch alles nur Kunst?

An artist who uses irony and presentation strategies that employ new communication technologies to question the democratic and equalitarian promises of these media and criticise the desire for control lying behind their apparent transparency. Based on the confirmation that new information and communication technologies are transforming our everyday life, Daniel G. Andújar created a fiction (Technologies To The People, 1996) designed to make us increase our awareness of the reality around us and of the deception in promises of free choice that are converted, irremissibly, into new forms of control and inequality. A long-time member of i rational.org (international reference point for art on the web) and founder of Technologies To The People , he is the creator of numerous projects on the Internet such as art-net-dortmund, e-barcelona.org, e-valencia.org, e-seoul.org, e-wac.org, e-sevilla.org, Materiales de artista, etc. He has directed numerous workshops for artists and social collectives in different countries.

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