Im Württembergischen Kunstverein Stuttgart: Daniel García Andújar spürt mit “Postcapital” der Medientotalität nach
Eine Ausstellung ist eine Ausstellung, ist eine Skulptur, ist eine Analyse, ist eine Frage, ist ein Forschungsfeld – und als solches bei allen Erkenntnisversuchen durchaus Gegenstand der Repräsentation. Auch dann oder vielleicht erst recht, wenn der gefundene Titel “Postcapital” lautet – und entsprechend viele Assoziationsräume eröffnet.
VON NIKOLAI B. FORSTBAUER
Artikel aus den STUTTGARTER NACHRICHTEN vom 25.11.2008
Die ersten Bilder? Volkspolizisten auf der Berliner Mauer. Sicher und unsicher zugleich. Überzeugt und ratlos, Uniformierte als menschliche Zeichen des Übergangs. Nur wenige Meter weiter Uniformierte in der gleichen Haltung, mit gleicher Pose, gleicher Geste. Und doch gehen die filmischen Beobachtungen ganz anders weiter. Panzer rollen auf dem Platz des Himmlischen Friedens, Leichen werden in den Straßen von Santiago de Chile eilig weggeschleppt oder achtlos auf Lastwagen gezerrt. Die Zäsur 1989, so macht uns der spanische Medienkünstler Daniel García Andújar deutlich, ist in ihrer Ausprägung nicht denkbar ohne die Geschichte und die Geschichten zuvor.
Als Postkommunismus wird die Zeit nach dem Ende der Sowjetunion und dem Fall der Berliner Mauer meist bezeichnet. Andújar wählt einen anderen Begriff. “Postkapitalismus”. “Postcapital. Archive 1989-2001” heißt seine Ausstellung für den Württembergischen Kunstverein Stuttgart, die bis zum 18. Januar 2009 im Vierecksaal des Kunstgebäudes am Schlossplatz zu sehen ist. Aber – wie gesagt – das mit der Ausstellung ist schwierig. “Postcapital” ist zugleich eine offene Werkstatt.
Das Archiv, das sich aus den Internet-Zugriffen Andújars speist, erschließt sich über die Teilhabe – und so ist das real präsentierte Material (Fotos, Videos, Textauszüge, historische Dokumente) nur ein Teil des Gesamtprojekts. Ja, im Grunde entsteht “Postcapital” in Stuttgart erst – in Workshops, in den zahlreichen Diskussionen, in der von Andújar angebotenen Nutzung der Materialien. Der Mauerfall 1989 und die terroristischen Angriffe auf die USA im September 2001 dienen ihm als offizielle Ausgangs- und Endpunkte seiner Beobachtungen, mehr noch aber als Identifikation von Wendepunkten in einer in alle Richtungen ausgreifenden historischen Entwicklung.
“Es geht” in “Postcapital”, so fassen es Iris Dressler und Hans D. Christ als Direktoren des Württembergischen Kunstvereins zusammen, “inwiefern sich die kapitalistischen Gesellschaften ohne ihr ehemaliges Gegenstück verändert haben und welche neue Mauern mit den globalen Politiken nach 1989 und 2001 gezogen wurden.” Was also passierte, nachdem der Westen seinen “Tanzpartner” verlor? Die Entwicklungen, so die Sicht Andújars, wiesen ablesbar nicht in ein Mehr an Demokratie und Transparenz der öffentlichen Strukturen. Anderes aber ist zugleich mit “Postcapital” angesprochen – die Kapitale als Hauptstadt. Und folglich, so Dressler/Christ, behandle Andújar in seiner Materialsammlung zugleich “die Verschiebung der urbanen Machtzentren”.
Ein Bilderfries fällt auf, ein Band, das sich an den Wänden des Vierecksaals entlangzieht. Dem Internet entnommen, sind die bloßen Zitate durch ihre Rahmung und die Einzelpräsentation wieder Teil des klassischen Bildverständnisses. Ein Vorgehen, das Andújar mit anderen teilt, nicht weniger wie das Erzeugen des Medienrauschens von Gewaltbildern auf Feldern wie Sport und Politik. Fußball kann ein Spiel sein, aber eben auch Impuls für Handlungen, die kriegerischen Choreografien folgen. Diese Beobachtung der 1990er Jahre kann Andújar im Grunde nur aufgreifen – und so folgt man gerne dem Ruf, dem Rauschen und Flimmern in und aus der zentral eingestellten begehbaren Skulptur. Denn eine solche ist das Labyrinth der Filme und Töne, eine gebaute Figuration. Zugleich Anspielung auf die Avantgarde-Träume der 1920er Jahre im deutschen Dada-Land wie im sowjetischen Konstruktivismus, wagt Andújars multimediales Wunderland die Umkehrung des Erwarteten. Das Viele wird zu einem neuen Einzelnen, das elektronische Bild, so scheint es, ist nur durch seine Privatisierung als qualitatives Medium überlebensfähig.
Schon die Darstellung dessen, dass die Erfassung des imaginären Ganzen nicht einlösbar ist, hat indes repräsentative wie spekulative Haken. Deutlich wird dies nicht weniger in Andújars Auseinandersetzung mit der Zerstörung der Zwillingstürme in New York als auch, wenn die “Internationale” frühe Propagandafilme der USA wie der UdSSR übertönt. Weiter verselbstständigen sich Motive zu Gesten – der Mensch, der sich in ein Tier verwandelt, der immer wiederkehrende Bezug auf die Türme, aber auch der Glaube an die Plattform Wikipedia als Forum der freien Kommunikation.
Daniel García Andújar reiht sich ein in das Feld der Künstlerforscher, sieht sich im Württembergischen Kunstverein vorbildlich präsentiert – und macht ungeachtet aller kritischen Fragen ein weitgehendes Angebot: Information wird erlebbar als Collage vielfältigster Interessen. Mit künstlerischen Mitteln sucht Andújar so einen Gegenpol zum bloßen Rauschen im Medienwald zu schaffen. Ob es ihm gelingt, wird abschließend auch durch die Beteiligung vor Ort beantwortet. Diese Werkstatt will benutzt werden.
Die Ausstellung als Archiv – ein Gespräch mit Kunstvereins-Co-Direktorin Iris Dressler
“Wie repräsentiert sich das Zeitalter?”
Gemeinsam mit Hans D. Christ leitet Iris Dressler seit 2005 den Württembergischen Kunstverein Stuttgart. Retrospektiv angelegte Ausstellungen – zum Werk etwa von Antonio Muntadas und Stan Douglas – antworten im Programm von Dressler und Christ in gesellschaftspolitische Fragen ausgreifende Themenausstellungen. “Postcapital” ist das aktuelle Beispiel.
Frau Dressler, “Postcapital” ist die umfassende Einzelausstellung zum Werk des Spaniers Daniel Garcia Andujar – und zugleich ein Themenprojekt zu Begriffen wie Postkapitalismus und zu Verschiebungen urbaner Strukturen. Ist ein solches Vorhaben überhaupt in Gänze fassbar?
Das Projekt berührt tatsächlich unglaublich viele Themenkomplexe. Zu den von Ihnen genannten Punkten kommen ja die Erweiterungen im Rahmenprogramm. “Postcapital” geht von einer konkreten künstlerischen Position aus, zugleich aber wird das Thema bewusst aus anderen Perspektiven beleuchtet.
Entsteht dadurch nicht wieder so etwas wie ein Ereignis?
Das ist eine Frage, die sich stellt. Aber in dem Sinn, dass hier eine andere Kommunikationsstruktur zur Diskussion gestellt wird. Das Medienrauschen ist eine Realität – und damit auch die Kommerzialisierung von Realität. Dies macht Andújar bereits mit dem den Vierecksaal umlaufenden Bilderfries deutlich, wo er sich insbesondere Bilder aus der Werbung aneignet – die sich selbst wiederum vorhandener Ikonen bedienen, wie etwa der Twin Towers. Fragen die sich hier stellen, sind: Wie repräsentiert sich dieses Zeitalter? Welche Zynismen sind dieser Repräsentation eigen?
Sie wollen den Titel “Postcapital” nicht auf die wirtschaftspolitische Position bezogen wissen, sondern sehen auch Strukturen des Urbanen berührt. Inwiefern?
Unter dem Begriff der Kapitale verstehen wir klassisch eine Hauptstadt. Was wir aber seit einiger Zeit beobachten, ist eine erhebliche Ausdifferenzierung von Begriffen und Diskussionen. Wir sprechen, bezogen auf die Größe, über Megacities – vor allem in Lateinamerika und in Asien. Wir sprechen von Shrinking Cities als gegenläufiger Entwicklung und von Smart Cities als einem Ideal auch neuer kommunikativer Bezugssysteme. Und wir sehen auf einer sehr einfachen Ebene, dass etwa New York inmitten dieser Entwicklungen etwas Museales bekommt. Paris war die Kapitale des 19. Jahrhunderts, New York die Kapitale des 20. Jahrhunderts. Für die Gegenwart können solche Zuschreibungen kaum mehr gelten. Die Fragen aber bleiben – und werden von Künstlern gestellt: Was sind heute öffentliche Räume. Sind Handlungsräume auch Räume des freien Handelns? Ist Kommunikation in diesem Sinn auch die Wiederaneignung privater Handlungsräume?
Und die politische Ebene?
Ich weiß nicht, ob sich dies heute noch so trennen lässt – die wirtschaftliche, die gesellschaftliche, die politische Ebene. Daniel García Andújar macht dies ja sehr deutlich, indem er einerseits die Entwicklung seit 1989 bearbeitet, andererseits aber ein sehr viel weiter ausgreifendes Archiv anbietet. Andújar bezeichnet die Zeit nach 1989, die Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Fall der Berliner Mauer als Postkapitalismus. Man feierte das Ende des Ost-West-Konfliktes ja als Sieg der westlichen Demokratien und ihres kapitalistisch orientierten Wirtschaftssystems. Durch Erschütterungen von außen wie von innen scheint diese Sicht aber zunehmend als zu einseitig identifiziert. Was uns interessiert, sind jetzt die Fragen, die Andújar daraus ableitet. Wie wichtig etwa wird die Wissensproduktion als Arbeitsfaktor?
Fragen von Nikolai B. Forstbauer
Das ist Daniel García Andújar
Der Katalane Daniel García Andújar (geboren in Spanien, 1966) begann mit seinen künstlerischen Unternehmungen in den späten 1980er Jahren; er arbeitete hauptsächlich mit Video. Seine Projekte waren Interventionen im öffentlichen Raum und thematisierten Rassismus und Fremdenangst sowie den Missbrauch öffentlicher Überwachungsanlagen. Nachdem er sich mit Computern und deren interaktiven Möglichkeiten vertraut gemacht hatte, begann er 1996 die Arbeit an einem Projekt namens Technologies To The People (TTTP), das seinerseits zu neuen Entwicklungen führte. Andújar lotet in seinen Arbeiten – Installationen, Videos, Workshops oder Netzprojekte – die neuen Kommunikationstechnologien im Hinblick auf ihre demokratischen und emanzipatorischen Versprechungen aus. Auf kritische Weise setzt er sich dabei mit den Kontrollmechanismen auseinander, die sich hinter ihren transparenten Strukturen verbergen. „Hack the System“ ist dabei eine Strategie, die er nicht nur im Hinblick auf digitale Kommunikationssysteme, sondern auch auf Institutionen, politische, kulturelle oder ökonomische Machtverhältnisse anwendet. Dabei geht es sowohl um die kritische Analyse oder ironische Freilegung dieser Verhältnisse als auch um die Erprobung kollaborativer und unabhängiger Formen der Kunstund Wissensproduktion. In Stuttgart bietet Andújar zu „Postcapital“ unter anderem einen Workshop und Diskussionen an.
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