Ist das noch Kunst oder schon verboten? – Spanische Künstler im Konflikt mit neuen Sicherheitsgesetze

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Lange bevor in Europa im Zuge der jüngsten Attentate von Paris wieder eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze diskutiert wird, hat Spanien bereits in diesem Sommer eine Gesetzesänderung durchgeführt: Zeitgleich mit einer Strafrechtsreform trat am 1. Juli das “Gesetz zum Schutz der Sicherheit der Bürger”in Kraft, das neue Strafbestände schafft und Bürgerrechte einschränkt. So gilt eine Demonstration vor dem Parlament als “Störung der öffentlichen Sicherheit” und ist mit Bußgeld belegt, Bilder von Polizisten dürfen nicht mehr “unbefugt” benutzt werden. Somit können Medien etwaigen Machtmissbrauch durch die Polizei nicht mehr so einfach dokumentieren.

“Knebelgesetze” führen zu juristischen Grauzonen

Auch bildende Künstler sind betroffen, wie etwa der Medienkünstler Daniel García Andújar, der in vielen seiner Arbeiten mit Bildern und Videos der diversen Protestbewegungen in Spanien arbeitet. Damit bewegt er sich jetzt in einer juristischen Grauzone. Er will sich von den “Knebelgesetzen”, wie die Spanier das neue Bürgerschutzgesetz und die Verschärfung des Strafrechts nennen, nicht beirren lassen – ebenso wie viele andere Künstler, Publizisten und Bürgerrechtler. “Das hat mit unserer Regierung und ihrer repressiven Politik zu tun”, sagt Andújar. “Die Leute sind die letzten Jahre viel auf die Straße gegangen. Es kam dabei zu Ausschreitungen, und lange Zeit trugen Polizisten keine Identifikationsnummer. Aber jeder hat ein Handy. Die Polizei-Bilder gingen also rum. Jetzt versucht man, diesen Informationsfluss zu stoppen.”

Maulkorb für kritische Künstler

Mehr staatliche Kontrolle durch mehr Verbote? Diese Schieflage stellt Andújar in Frage. Wie in der Serie “Infiltrators – verdeckte Ermittler”. Diese Bilder wurden schon im Museum der Reína Sofía in Madrid ausgestellt. Einige Werke sind auch jetzt – nach den neuen Gesetzen – in einer Ausstellung zu sehen. Aber: Es wird eng. “Ich will keinen Skandal”, so der Künstler. “Ich versuche nur die Grenzen auszuloten. Wie bei meiner Serie ‘Verdeckte Ermittler’. Und sogar schon vor den Gesetzen hat die Reína Sofía einige Werke wegen juristischer Bedenken nicht gezeigt.”

Auch Filmaufnahmen wie unsere: Grauzone. Dafür können nun Strafen von bis zu 30.000 Euro anfallen. Spontane Demonstrationen vor dem Parlament oder an der Puerta del Sol in Madrid: obsolet. Die Bilder von vor vier Jahren wären heute “Störung der öffentlichen Sicherheit”. Die Bußgelder: bis zu 600.000 Euro.

Mehr als 80.000 Demos in den vergangenen zwei Jahren

Die Konsequenzen zeigten Künstler und Aktivisten im April mit einer Projektion vor dem Parlament: Proteste gehen hier nur noch als Hologramm. Eine Geisterdemo. “Ich glaube, dass die Regierung sehr erschrocken darüber war, wie stark die Proteste waren”, berichtet der Schriftsteller Javier Moro. “Sie bekam Angst und reagierte mit den neuen Gesetzen. Aber diese Reformen sind Angriffe auf die persönlichen Freiheiten eines jeden Bürgers. Zwar im Namen eines Bürgerschutzes, aber meiner Meinung nach dient das alles vielmehr dem Schutz der Parlamentarier.”

Schutz vor der Wut der eigenen Bürger. Mehr als 80.000 Demos gab es in den letzten zwei Jahren. Gegen Sparpolitik, Sozialkürzungen, Korruption. Im Visier: die konservative Partido Popular von Regierungschef Rajoy. Die will nun vor den Parlamentswahlen Unruhen verhindern. Und öffentliche Kritik durch die Ausweitung des Terrorismusbegriffs.

Eine Zeichnung als Terrorismusdelikt?

“Ich riskiere gerade, wegen Terrorismus angeklagt zu werden”, erzählt die Zeichnerin Atxe. “Wegen einer Zeichnung. Wegen Beleidigung der Krone. Das kann jetzt als Terrorismusdelikt ausgelegt werden. Das ist völlig absurd und lächerlich.” Eine Satire der Zeichnerin Atxe sorgte vor Kurzem für Zündstoff. König Felipe sucht seinen Vater, Ex-Monarch Juan Carlos, der sich vor der Öffentlichkeit versteckt, um von diversen Skandalen abzulenken. Eine Grenzüberschreitung in den Augen von Vertretern der Partido Popular.

“Diese Reformen haben diejenigen beflügelt, die schon immer Probleme mit Kritik und Meinungsfreiheit hatten”, sagt Atxe. “Ich persönlich denke nicht darüber nach, ob ich gerade eine Straftat begehe, wenn ich zeichne. Aber die Reformen werden viele Zeichner jetzt sicher dazu bringen, zweimal darüber nachzudenken, was sie wie darstellen.” Die Antwort der Kulturszene auf die sogenannten Maulkorbgesetze: Widerstand. Und der ist breit gefächert.

Welche Sprache dürfen Künstler nutzen?

Proben für eine große Performance vieler Theatergruppen am nächsten Sonntag. Das Ziel: Noch vor den Wahlen gegen die Repression mobilisieren. Und die öffentliche Ordnung stören. “Im 21. Jahrhundert müssen wir immer noch für unsere Freiheit kämpfen. Die Leute protestieren aber leider erst, wenn es zu spät ist”, sagt die Schauspielerin und Aktivistin Teresa Alonso. “Es geht doch letztlich nicht darum, dass die Bilder die Sicherheit gefährden oder Persönlichkeitsrechte verletzen”, so Andújar. “Es geht vielmehr darum, welche Sprache wir Künstler nutzen dürfen und welche nicht.”

Freiheit gegen Sicherheit. Bei den Wahlen am 20. Dezember geht es auch um die Frage, wie weit gesellschaftskritische Kunst gehen darf. Und wie weit die Politik – im Namen der sogenannten öffentlichen Ordnung.

(Beitrag: Sandra Aïd)

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