Architekturdebatten nach dem Fall der Mauer
Vortrag
Freitag, 9. Januar 2009, 19 Uhr
Abstract
Die so genannte „kritische“ Architektur (Criticality) entstand in den 1970er Jahren parallel aus der Ablehnung gegen Postmoderne und Spätmoderne als ein gedankliches Konstrukt, welches nach dem Scheitern architektonischer und gesellschaftlicher Utopien nach ‘68 innerhalb der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse – Kapitalismus und Massenkonsumkultur – der Architektur einen Bereich als autonome Kunst sichern sollte. Schnell etablierten sich „kritische“ Merkmale wie post-funktionaler Formalismus, abstrakte Manipulation geometrischer Elemente, Zurschaustellung architektonischer Konventionen, eine Geringschätzung gegenüber traditionellen architektonischen Werten wie Ort, Materialität, Detail oder Konstruktion, etc. Dabei wurden die oft nur Papier oder Modell gebliebenen Projekte begleitet von schwer zu durchdringenden theoretischen Texten, welche durch Anleihen bei post-strukturalistischen Autoren den Anspruch auf eine Architektur der Dekomposition, Disjunktion, Transgression oder Dekonstruktion unterstrichen, oder wortreich von der Problematisierung, der Auflösung, der Verweigerung und dem Schweigen der Architektur sprachen.
Als dann 1988 die Ausstellung Deconstructivist Architecture im MoMA in New York stattfand, schien der Siegeszug einer „kritischen“ Architektur unaufhaltsam, doch nur wenige Jahre später verschwand sie wieder aus der internationalen Architekturdebatte, während die mit ihr verbundenen Architekten (Koolhaas, Gehry, Eisenman, Hadid, Libeskind, Coop Himmelb(l)au, Tschumi) noch heute zum globalen Starsystem gehören.
Dieser Vortrag versucht sich dem scheinbar innerdisziplinären Phänomen einer „kritischen“ und „post-kritischen“ Architektur mit Verweisen auf die politische und gesellschaftliche Großwetterlage der 1990er Jahre zu nähern, um die vehemente Kritik an einer „kritischen“ Theorie und Praxis der Architektur, welche signifikanterweise seit 2001 die Bühne der Architekturdebatte betreten hat, zu kontextualisieren. Dabei lässt sich die „kritische“ Architektur auf neo-marxistische und linguistische Ansätze zurückverfolgen, während der „post-kritische“ Ansatz Spuren (neo-)pragmatischer Strömungen zeigt. Nicht zuletzt geht es um den dialektischen Aspekt des „Post/“, das ein binäres Modell – kritisch versus post-kritisch – etabliert, welches es zu hinterfragen gilt.
Bio
Ole W. Fischer (*1974) studierte Architektur an der Bauhaus Universität Weimar und der ETH Zürich. Seit 2002 ist er freischaffender Architekt und unterrichtet Architekturtheorie am Institut gta der ETH, im Herbst 2008 als Vertretungsprofessor. In seiner Dissertation untersuchte er die programmatischen Übertragungen der Philosophie Friedrich Nietzsches in Theorie und Werk Henry van de Veldes (2002–08). Im Sommer 2004 und 2005 war er Gastforscher der Klassik Stiftung Weimar, im Frühjahr 2005 Fellow Researcher an der Harvard GSD, im Sommer 2008 Stipendiat der Akademie Schloss Solitude. Ole W. Fischer gründete die Diskussionsplattform MittelBau der ETH und ist Co-Veranstalter von Explorations in Architecture im Rahmen des Schweizer Beitrages der Biennale di Venezia 08. Er publiziert international zu Fragen der Geschichte und Theorie der Architektur (u. a. Werk, Bauen und Wohnen; JSAH; MIT Thresholds; Archplus; An Architektur; GAM; Umeni) und ist Co-Herausgeber von Precisions – Architektur zwischen Wissenschaft und Kunst, Berlin: Jovis, 2008.
Eintritt
4 Euro / 2 Euro ermäßigt / Mitglieder des WKV frei
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