un-frieden. sabotage von wirklichkeiten

kunstforum
Band 136, Februar – Mai 1997, Seite 363, AUSSTELLUNGEN

HAMBURG
Jens Rönnau
un-frieden. sabotage von wirklichkeiten

Kunstverein und Kunsthaus in Hamburg, 30.11.1996 – 19.1.1997

540 Künstler aus 31 Ländern der Welt waren 1996 dem Aufruf gefolgt, Konzepte zum Thema “un-frieden. sabotage von wirklichkeiten” einzureichen. Per weltweitem Internet hatten die Ausstellungskuratorinnen Ute Vorkoeper und Inke Arns für eine Beteiligung an diesem Projekt geworben, das im Rahmen der Hamburger Woche der Bildenden Kunst 1996 präsentiert wurde. Nur 34 Projekte davon wählte die Jury für jene Schau in den Räumen von Kunstverein und Kunsthaus Hamburg. Allerdings waren fast alle anderen eingereichten Konzepte den Ausstellungsbesuchern ebenfalls zugänglich: 26 in einem speziellen Konzeptraum, die übrigen in einem Archiv – “ein Ort für Entdeckungen und Vernetzungen”, so die Ausstellungsmacherinnen.

Es war Konzept der Ausstellung, für das Ute Vorkoeper verantwortlich zeichnet, “unterschiedliche, möglichst auch unbekannte künstlerisch-politische Positionen der 90er Jahre zusammenzutragen” unter dem Motto der “un-friedlichen” Wirklichkeiten, die unseren Alltag bestimmen: kritische Hinterfragung, Auseinandersetzung, auch Lösungsvorschläge für Denkansätze. Dabei besteht der erkenntnistheoretische Grundsatz, daß Krieg und Frieden sich nicht als Antipoden gegenüberstehen, weil es “die eine Wahrheit” nicht gibt und weil man eingestimmt hat “in den Abgesang auf jedwede Utopie”. “Wir stehen diesseits der Utopien und jenseits der Apokalypsen” (U.Vorkoeper).

In sechs Themen-“Zonen” war die Ausstellung unterteilt: Kontrolle (Unsicherheit), Nachrichtendienste (Desinformation), Alltag (Befremdendes), Grenzpolitiken (Gratwanderungen), Staatsmaschinen (Ordnungen) und Science Fiction & Ökonomie (Zukunftsverwaltung). Die Grenzen dieser Zonen blieben allerdings fließend und können bestenfalls als Hilfsversuche einer Klassifizierung jener Ausstellungsvielfalt gelten, die übrigens nicht nur auf einen Ort beschränkt war. Auch an anderen Orten der Hansestadt gab es Projekte und Performances, etwa durch Mobilar-Austausch von öffentlichen Cafés durch die österreichische Gruppe “tonnage inc”.

Zum Programm zählten wider Willen auch hundert Hamburger Unternehmen, bei denen es elektronische Sicherheitskontrollen gibt. Mittels per Post versandter Magnetstreifen wurden dort die Alarmsysteme ausgelöst – ein Mail-Art-Projekt des Engländers Heath Bunting, der auf seine Weise kreativen Unfrieden stiften wollte, indem er Ordnungen auf den Kopf stellte. Sicherheitssysteme werden durch Verunsicherung ad absurdum geführt.

Hierzu zählt auch die Infragestellung des nationalen Territorialstaates durch die slowenische Künstlergruppe Irwin/NSK, die unter dem Motto “Neue Slowenische Kunst” kollektive Avantgarde-Kunst propagiert und Pässe ausgibt für den “NSK Staat in der Zeit”, der sich in und mit der Zeit bewegt, und nicht in geographischen Grenzen. Sein Motor ist ein symbolisch-physikalischer Kollektivkörper, der keinem Territorium, sondern Geist und Ideen den Status eines Staates verleiht. Mit den bei Irwin zu bestellenden Pässen sollen Menschen ohne gültige Reisepapiere während des Jugoslawien-Krieges schon internationale Grenzen passiert haben.

Die Grenzen des einstigen “Eisernen Vorhangs” überschritten während des Kalten Kriegs in den 60er Jahren ferngesteuerte Minifahrzeuge des US-Geheimdienstes. In einer Schau zeigt der Berliner Peder Iblher banale, fiktive Fotos aus den Weiten der damaligen UdSSR, die von jenen Spionierfahrzeugen stammen sollen und die trotz Millionenaufwand kaum nennenswerte Erkenntnisse vom “Feindstaat” gebracht haben sollen.

Eine Demokratisierung der Technik fordert der Spanier Daniel G. Andujar mit seinem Projekt “Technologies To The People”. Er will mittellosen Personen den Zugang zu neuen Technologien ermöglichen, um der drohenden Schere zwischen informierten und nichtinformierten Mitgliedern der Gesellschaft entgegenzuwirken. Dazu dienen Werbekampagnen wie für “Personal Folkcomputer” oder die “Internet Street Access Machine”, die auch mit Kreditkarten für jeden nutzbar sein soll.

Persönlicher geht es im Selbstversuch Birgit Brenners zu, die sich um eine Rückführung der statistischen Durchschnittsmenge ihrer in einem Jahr geweinten Tränen bemüht. Seine persönliche Ordnung in der Welt der Begriffe will Marcus Bastel (Amsterdam) finden. Er überhäuft einen Konferenztisch mit willkürlichen Begriffen, kontrastiert Worte per Monitor mit aufgezeichneten Selbstgesprächen.

Auf die glatte Schönheit unserer Autowelt hat es der Japaner Daisuke Nakayama mit seinem “Car of desire” abgesehen: Ein schnittiges Fahrzeug als edelpolierte Holzskulptur steht frei im Raum. Man sollte sich dem indes lieber nicht allzusehr nähern, denn es ist von rasierklingenscharfem Schneidestahl überzogen.

Wohlige Schönheit bis zum Überdruß hingegen zeigt der Niederländer Gary Carsley, der mit seinem “Amt für öffentliche Arbeit” mittels unzähliger Rosenarrangements unseren triest-schrecklichen Alltag ironisch “verschönt”. Dabei kommt die Rose auch als ein Moment der Erotik zum Einsatz, begleitet von Texten oder mehrdeutigen Sprüchen wie “HOME SWEET HOME OH?”.

Schön erscheint auch “Wandering Position” – ein quadratisches, endlos ineinander verschlungenes Linienmuster auf dem Boden der Ausstellungshalle. 24 Stunden lang zeichnete Yukinori Yanagi (Japan) den Weg einer Ameise in einem durch Eisenbarrieren eingegrenzten Feld mit roter Kreide nach – eine letztlich schöne und zugleich bedrückende sowie nachdenklich stimmende Installation.

Als bedrückend mag man denn auch eher den Gesamtkontext der Ausstellung empfinden, selbst wenn die künstlerischen Konzeptionen oft kuriose Auswege aufzeigen, wie Andreas Peschkas “Stempelset für Attentäter”, der jedem Attentäter gestattet, per Stempel einen Fingerabdruck des Künstlers am Tatort zu hinterlassen. Entsprechende Bestellzettel für den Stempel sind nebst Anschrift beim Künstler einzureichen. Gewalt, Geheimdienste, Ressourcen, Medien und Macht werden in den gezeigten Konzepten und Installationen vielfältig thematisiert und hinterfragt. Man konnte die Ausstellung mit einem lachenden und einem weinenden Auge zugleich verlassen.

Katalog, 128 Seiten, s/w-Abb., deutsch/englisch, 30 DM

Related Images:

Share

Comments

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *