Das Videospiel wird Realität, die Realität ein Videospiel
Der spanische Multimedia-Künstler und Aktivist Daniel G. Andújar untersucht die wechselseitige Wirkung von Realität und ihrer digitalen Repräsentation. Seine Ausstellung «Konfliktzonen» wird am Mittwoch im Haus der elektronischen Künste eröffnet.
Was will dieser Künstler? Im Lärm von Gewehrsalven, in der Flut von Bildern, droht die Besucherin der Ausstellung «Konfliktzonen» den Sinn des Ganzen aus den Augen zu verlieren. Darum am Ende seiner Medienführung durch die von ihm gestalteten Räume im Haus der elektronischen Künste die Frage an Daniel G. Andújar: Was ist Ihre Absicht? «Es geht mir darum, einen Raum des Widerstandes zu schaffen», antwortet er, «mit Instrumenten gegen die Hierarchie und die zunehmende weltweite Standardisierung». Praktisch seit es das Internet gibt, beobachtet Andújar, wie es zur Darstellung, Interpretation und Manipulation der Wirklichkeit genutzt wird. Und er greift selbst ein. Als Künstler: Er nutzt Bilder und Produkte aus dem Netz, indem er sie rezykliert, in neue Zusammenhänge bringt oder alternative Interpretationsmöglichkeiten anbietet. Als Aktivist: Vor bald 20 Jahren hat er etwa Websites kreiert, auf denen Bürgerinnen und Bürger sich über gesellschaftspolitische Probleme austauschen können (zum Beispiel e-barcelona.org, eine Seite, die jedoch für Uneingeweihte komplett undechiffrierbar ist).Die Waffe aus dem Drucker
In Konfliktzonen manifestiert sich der Kampf um die Deutungshoheit von Bildern besonders. Auf dieses Thema fokussiert die erste Schweizer Einzelausstellung des in seiner Heimat Spanien schon sehr bekannten Künstlers. Sie versammelt Werke aus den Jahren 1998 bis 2015, die sich mit Kriegen, Konflikten und Protestbewegungen sowie deren Darstellungen auseinandersetzen. Videoaufnahmen von Demonstrationen in Spanien zeigen, wie eine Kamera die Menge nach versteckten Polizisten in Zivil absucht. Ein doppelbödiges Spiel: Demonstranten dürfen fotografiert werden, doch getarnte Polizeiagenten nicht; ein spanisches Gesetz verbietet das. Dieser Film geht über in 3-D-Modelle der gefilmten Gesichter. Sie werden von Hand neu geformt – die Mimik oder Frisur werden variiert. So modelliere man heute die Figuren für Videospiele, erklärt Andújar und erwähnt, dass die Videospiel-Industrie den Umsatz so ziemlich der gesamten Kulturindustrie bei weitem übersteige. Besonders beliebt sind Kriegsspiele. Diese seien oft schneller und gewalttätiger als der reale Krieg. So, dass Soldaten, die sie spielten, ihre echten Einsätze als langsam empfänden. «Das Virtuelle ist realer als die Realität», sagt Daniel G. Andújar. Und umgekehrt: Die Realität wirkt oft virtuell. Wer am Computer Drohnen steuert, wähnt sich in einem Spiel. Immer stärker durchdringen sich diese Welten, auch das macht der Künstler deutlich. Videogames werden genutzt, um die Spieler auf die je eigene politische Perspektive einzuschwören. Die Bestandteile für Einwegwaffen können im 3-D-Drucker ausgedruckt werden – Andújar stellt sie in einer Vitrine aus.Politisch, ironisch, digital: «Konflikt-Zonen» im HeK
tageswoche.ch 16.9.2015, 16:01 Uhr In seiner neuen Ausstellung hinterfragt der Künstler Daniel G. Andújar, wie digitale Information produziert, verbreitet und aufgenommen wird. «Konfliktzonen» ist eine der Ausstellungen, bei denen man am liebsten in den Kopf des Künstlers kriechen würde. Von Daniela Gschweng Daniel G. Andújar gibt gerne ausführliche, grundsätzliche Antworten auf Fragen zu seinen Kunstwerken. Nicht ganz ohne Grund. Ob es um die Gegenüberstellung von Videospielen mit Aufnahmen von Polizeigewalt geht oder um Handyaufnahmen von bunten Ecstasypillen, überall geht es nicht um ein Bild, sondern um viele, nicht um das Dargestellte, sondern um den Zusammenhang. Das bemerkt man schon am Eingang des Ausstellungssaales im HeK, dessen gegenüberliegende Wände mit Ausdrucken tapeziert sind. Links Anleitungen zum Bombenbau aus dem «Anarchist Cookbook» von 1971, rechts Hacking-Tipps aus dem Internet. Subversion, Rohrbomben, Freedom of Information, eine wilde Mischung.
Aus Demonstranten werden Bösewichte
Gleich daneben eine Gegenüberstellung von blutigem Häuserkampf aus einem Videospiel mit einer realen Szene gefilmter Polizeigewalt. Dazu Gesichtserkennungsabläufe, zusammengeschnitten mit der Modellierung von Gesichtern für Games. Tatsächlich, erfährt man aus dem Begleittext, werden aus Bildern von Demonstranten die «Bad Guy»–Charaktere für Videospiele geschaffen. Kann man das Manipulation nennen? «Videospiele sind ein Geschäftszweig, mit eigener Kuratierung, Musik, Architektur und Dramatik, die mehr Geld macht als ganz Hollywood», sagt Andújar dazu. «Mithilfe einer Bildsprache, die wahrscheinlich bald mehr Menschen erreichen wird als konventionelle Medien.» Die Schemazeichnungen von Demonstranten in Hoodies an der gegenüberliegenden Wand zeigen aber keine Randalierer, sondern sogenannte Infiltrators: Polizisten in Zivil, die sich unter Demonstranten mischen. Verwirrend.Zones of Conflict HeK (House of Electronic Arts Basel)
In his works, Spanish artist Daniel G. Andújar deals with political and social issues and reflects on the relationship between reality and its representation in digital worlds. He starts off with collections of various found media that he uses for his video and Internet projects, as well as arrangements of objects, prints and photographs.
Key themes are the power structures in dominant, hierarchical social systems and the role of technology as an instrument of state control. Andújar uses the representation strategies of media in an ironic and critical manner, asking whether information and communication technologies truly uphold their stated commitment to democratic and egalitarian values. He thus points out the discrepancy between the utopian idea of the Internet as a democratic space, and its actual capabilities and limitations. Andújar thus keeps returning to subversive tactics of occupation and civil disobedience – tactics that use social networks and the Internet to reframe the concept of freedom.
With “Konfliktzonen / Zones of Conflict“ the HeK (House of Electronic Arts Basel) presents the artist’s first solo exhibition in Switzerland. The exhibition includes works created between 1998 and 2015 on themes related to conflicts, protest movements and geo-political crises. All invite the visitor to take a critical look at today’s communication media and technologies.